Auszug aus einem deutschen Buch von Peter Härtling
Sebastian hatte, zu aufgeregt, das Unglück der Großmama nicht zutreffend geschildert. Sie war nicht gestürzt, nicht hingefallen, sie war von einem unaufmerksamen Passanten angerempelt und hingeworfen worden, als sie aus dem Haus auf die Straße trat.
Ich habe das Gleichgewicht verloren, lag da, ein Häufchen Elend, und der eilige Bursche war einfach weg. Jette habe sie aufgehoben, den Doktor gerufen, der feststellte, dass sie sich den Arm gebrochen habe. Er verordnete acht Tage lang Ruhe, sie müsse liegen bleiben und der Arm mit kalten Umschlägen versorgt werden.
Sie war kaum zu halten. Fanny, Bekchen, Madame Dirichlet oder Hensel und Paul mussten sie regelmäßig mahnen, ihr erklären, dass die Schmerzen im Arm schlimmer würden, wenn sie nicht still halte. Devrient, der ebenfalls besorgt nach ihr sah, verließ grinsend das Krankenzimmer: Die Königin ist stillgelegt und ihr Hofstaat ratlos. Fanny nahm ihm diese Bemerkung für einen Moment übel, bis sie einsah, dass Devrient recht hatte, und sie ihm lachend ein „So ist es“ nachschickte.
Als Lea unter dem Beifall der ganzen Familie das Bett verlassen durfte, wurde der Arm geschient. Fünf Wochen lang dürfe sie ihn um Himmels willen nicht bewegen. Ihren Witz konnte der Doktor nicht stilllegen. Nun, da der Winter komme und Schnee und Eis zu erwarten sei, werde sie, durch den steifen Arm aus dem Gleichgewicht gebracht, wahrscheinlich noch einmal stürzen und sich einen zweiten Gips holen, prophezeite sie ihm.
Das schaffte sie nicht. Doch an allem, was in der Stadt geschah, konnte sie zu ihrem Verdruss nicht teilnehmen. Friedrich Wilhelm IV. wurde in einem opulenten Fest gehuldigt, obwohl er nicht willens war, seinem Volk die Verfassung zu geben.
