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blindside70
1324 Words / 1 Recordings / 1 Comments

DAS MAGAZIN: Mr Ridley, Ihr Buch heisst «The Rational Optimist». Was ist das, rationaler Optimismus?

MATT RIDLEY: Ich bezeichne mich als rationalen Optimisten, weil ich nicht aufgrund meines Charakters oder Temperaments zu dieser Position gelangt bin. Ich habe mir Fakten angeschaut, Zahlen, Statistiken, Studien, Geschichtsbücher, gesichertes Wissen. Und diese Fakten sprechen eine klare Sprache. Die Geschichte der Menschheit, von ihren Anfängen in der afrikanischen Savanne bis zur Gegenwart, ist eine wunderbare Erfolgsgeschichte, und es gibt keinen Grund, warum sie, wie so viele Pessimisten uns glauben machen wollen, nun zu Ende gehen sollte. Ich zitiere in meinem Buch den englischen Politiker und Historiker Thomas B. Macaulay, der schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine Frage stellte, auf welche die Schwarzmaler aller Zeiten keine Antwort haben: Warum sehen wir, wenn wir zurückblicken, nichts ausser Fortschritt und Verbesserungen, erwarten aber von der Zukunft immer nur den Niedergang?

DAS MAGAZIN: Sie behaupten in Ihrem Buch, dass uns ein grossartiges 21. Jahrhundert bevorstehe, in dem «der Reichtum um sich greift, Technologien voranschreiten, die Armut zurückgeht, Krankheiten eingedämmt werden, die Fruchtbarkeit abnimmt, das Glück zunimmt, die Gewalt schwindet, die Freiheit wächst, das Wissen blüht und die Umwelt sich verbessert.» Sie müssen erklären, warum Sie so unendlich zuversichtlich sind.

Ridley: Für jeden dieser Punkte führe ich im Buch ausführliche Belege an, aber mein generelles Argument besteht aus einer Theorie des menschlichen Fortschritts. Betrachtet man die Geschichte der Menschheit, dann bleibt zunächst einmal völlig rätselhaft, warum der Homo sapiens in der kurzen Zeitspanne der letzten 45 000 Jahre einen solchen Siegeszug erleben und zur dominanten Spezies auf dem Planeten werden konnte, während alle anderen Tiere kaum Fortschritte gemacht haben. Als Auslöser für diesen Innovationsschub sind viele Gründe genannt worden: grosse Gehirne, die Entwicklung der Sprache, das Feuer, die Herstellung von Werkzeugen und anderes mehr. Aber all diese Dinge scheinen zu diesem Zeitpunkt bereits seit Millionen von Jahren existiert zu haben, ohne besonderen innovativen Effekt. Werkzeuge wie Äxte etwa wurden während Hunderttausenden von Jahren nach dem immergleichen primitiven Design hergestellt, ohne dass irgendeine Verbesserung stattfand. Dann aber, plötzlich, vor 45 000 Jahren, gab es diesen Big Bang der menschlichen Kultur, und eine beispiellose Entwicklung nahm ihren Lauf. Warum bloss?

DAS MAGAZIN: Sagen Sie es uns.

Ridley: Irgendwann kamen unsere Vorfahren auf eine revolutionäre Idee: Gib mir deins, dann geb ich dir meins. Sie fingen an, Objekte zu tauschen, also Handel zu betreiben. Das war der Anfang der Spezialisierung, der Arbeitsteilung, des Marktes, wie wir ihn heute kennen. Einer stellte Äxte her, ein anderer sammelte Felle und so weiter. Zehn Individuen konnten auf diese Weise zehn Fähigkeiten zusammenbringen, während jeder von ihnen nur eine beherrscht. Das kann kein anderes Tier. Obwohl etwa Affen oder auch Ameisen primitive Formen der Arbeitsteilung oder des Gütertauschs kennen, geschieht keine Innovation, alle tun über Jahrmillionen hinweg immer dasselbe. Der Mensch aber erfand auf der Basis des kulturellen Austauschs Dinge wie die Landwirtschaft, Städte als Lebensform, Lesen und Schreiben, die gesamte Kultur. Heute nennt man das kollektive Intelligenz. Niemand, wirklich kein einziger einzelner Mensch der Welt weiss, wie man einen Kugelschreiber herstellt. Und einen Computer schon gar nicht. Das Wissen und die Arbeit von Tausenden, ja Millionen von Köpfen ist darin eingeflossen. Ich mag den Vergleich mit der Evolution: Biologisch entwickeln sich Spezies, weil Männchen und Weibchen ihre Gene austauschen, weil sie Sex haben miteinander. Und die kulturelle Entwicklung, also der menschliche Fortschritt, geht voran, weil Ideen Sex haben miteinander.

DAS MAGAZIN: Und Sie glauben also, weil die Menschheit eine so grossartige Innovationsmaschine ist, werden wir auch Probleme wie den Klimawandel, die Überbevölkerung und den Hunger in Afrika in den Griff kriegen?

Ridley: Deswegen — und weil diese und andere Probleme gar nicht so schrecklich und unlösbar sind, wie Pessimisten uns glauben machen wollen. Man soll mich bitte nicht falsch verstehen, jedes Malariaopfer in Afrika ist eine Tragödie, und ich bin ein grosser Verfechter richtig praktizierter Umweltpolitik. Aber ich habe dieses Buch auch geschrieben, um dem Chor der Untergangspropheten etwas entgegenzusetzen und zu zeigen, wie viel wir bereits erreicht haben und dass wir auf diesem Weg des Wachstums weitergehen können, wenn wir es nur richtig anstellen. Die Menschen auf der Welt insgesamt sind schon jetzt viel reicher, als sie es jemals waren, der Planet füttert schon jetzt sehr viel mehr Leute, als man je für möglich gehalten hätte.

DAS MAGAZIN: Waren nicht etwa die goldenen Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in der westlichen Welt eine bessere Zeit als heute?

Ridley: Die Fünfzigerjahre waren bis zu diesem Zeitpunkt in der Tat eine Zeit von nie dagewesenem Reichtum und Luxus — aber verglichen mit heute, sind sie eine Ära der Armut. Richtig ist, dass es in den Fünfzigern in acht von zehn amerikanischen Haushalten fliessendes Wasser, Waschmaschinen, Kühlschränke, elektrisches Licht und Zentralheizung gab, was nur fünfzig Jahre davor, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, praktisch niemand hatte. Ein enormer Fortschritt. In seinem berühmten Buch «Die Überflussgesellschaft» erklärte der Ökonom J. K. Galbraith deshalb schon 1958, dass der Wohlstand seinen Höhepunkt erreicht habe und dass nun viele überflüssige Güter produziert würden, die den Konsumenten nur durch verführerische Werbung angedreht werden können. Aber heute, noch mal fünfzig Jahre später, müsste man diese goldene Generation der Fünfzigerjahre unterhalb der Armutsgrenze ansiedeln, gemessen an ihrem Durchschnittseinkommen — immer kaufkraftbereinigt. So sehr haben sich die Verhältnisse verschoben, und wir bemerken es nicht. Ein englischer Arbeiter mit Durchschnittsverdienst im Jahr 1957 verdiente weniger, als ein arbeitsloser Engländer mit drei Kindern heute an staatlicher Unterstützung erhält — kaufkraftbereinigt. Ein kleines Beispiel: Noch 1970 hatten nur 36 Prozent aller Amerikaner eine Klimaanlage, im Jahr 2005 gibt es diese angenehmen Apparate in 79 Prozent aller US-Haushalte, die offiziell als arm gelten. Darf ich Ihnen ein paar weitere Zahlen nennen, die zeigen, wie sehr viel besser es uns geht als je?

DAS MAGAZIN: Bitte. Gute Nachrichten sind sehr willkommen heutzutage.

Ridley: Seit 1800 ist die Weltbevölkerung um das Sechsfache gewachsen, gleichzeitig hat sich jedoch die durchschnittliche Lebenserwartung mehr als verdoppelt. Nehmen wir eine kürzere Zeitspanne: Zwischen 1955 und 2005 hat sich das kaufkraftbereinigte Durchschnittseinkommen eines Erdenbürgers verdreifacht, und es stehen pro Tag ein Drittel mehr Kalorien an Nahrung zur Verfügung. Die Kindersterblichkeit ist in dieser Zeit um zwei Drittel gefallen. Für den Durchschnittsmenschen hat sich in diesen fünfzig Jahren laut allen Statistiken die Wahrscheinlichkeit von diversen hässlichen Todesursachen teilweise dramatisch verringert: Krieg, Mord, Verkehrsunfälle, Kindbett, Überschwemmungen, Hunger, Krebs, Herzschlag, Tuberkulose, Typhus, Pocken, Polio — überall sind die Zahlen rückläufig. Gleichzeitig ist für den Durchschnittsmenschen die Wahrscheinlichkeit, dass er ein Haus, eine moderne Toilette, einen Kühlschrank, ein Telefon und ein Auto besitzt, enorm gestiegen. Überall auf der Welt sind die Kosten zur Deckung der vier wichtigsten menschlichen Grundbedürfnisse — Essen, Kleidung, Energie und Unterkunft — sehr stark gesunken. Das sind enorme Leistungen, die uns zuversichtlich machen sollten, denn nichts spricht dagegen, dass wir diese Quantensprünge bis ins Jahr 2100 nicht wiederholen können.

DAS MAGAZIN: Sie reden immer von globalen Durchschnittswerten. In einzelnen Weltgegenden sind die Zahlen aber weniger fröhlich.

Ridley: Das stimmt natürlich. Aber selbst wenn man einzelne Länder anschaut, ist es schwierig, irgendwo deutliche Rückschritte zu finden. Im letzten halben Jahrhundert ist das kaufkraftbereinigte Durchschnittseinkommen nur gerade in sechs Nationen leicht gefallen, im Kongo, in Liberia, Afghanistan, Haiti, Somalia und Sierra Leone. Die Lebenserwartung fiel in bloss drei Nationen, nämlich Russland, Swasiland und Zimbabwe, die Kindersterblichkeit stieg überhaupt nirgends. In Afrika verläuft der Verbesserungsprozess allerdings sehr viel langsamer als im Rest der Welt. Und manche Länder haben Phasen der Stagnation oder des Rückschritts erlebt, von denen sie sich aber erholen, China in den Sechzigern, Äthiopien in den Achtzigern, der Kongo in den Nullerjahren. Argentinien erlebte ein insgesamt enttäuschendes 20. Jahrhundert. Aber betrachtet man alles zusammen, dann ist die Entwicklung der letzten fünfzig Jahre für die Welt dramatisch positiv. Ein durchschnittlicher Mexikaner lebt heute länger als der Durchschnitts-Engländer 1955. Der durchschnittliche Botswaner verdient heute real mehr als der Durchschnitts-Finne 1955. Der Anteil Vietnamesen, die von weniger als 2 Dollar pro Tag leben, ist in den letzten zwanzig Jahren von 90 Prozent auf 30 Prozent gefallen.

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Comments

blindside70
Aug. 13, 2010

Yeah, probably... sorry about that...