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Erst im Frühjahr 1950 kehrte ich aus dem Krieg heim, und ich fand niemanden mehr in der Stadt, den ich kannte. Zum Glück hatten meine Eltern mir Geld hinterlassen. Ich mietete ein Zimmer in der Stadt, dort lag ich auf dem Bett, rauchte und wartete und wußte nicht, worauf ich wartete. Arbeiten zu gehen, hatte ich keine Lust. Ich gab meiner Wirtin Geld, und sie kaufte alles für mich und bereitete mir das Essen. Jedesmal, wenn sie mir den Kaffee oder das Essen ins Zimmer brachte, blieb sie länger, als mir lieb war. Ihr Sohn war in einem Ort gefallen, der Kalinowka hieß, und wenn sie eingetreten war, setzte sie das Tablett auf den Tisch und kam in die dämmrige Ecke, wo mein Bett stand. Dort döste ich vor mich hin, drückte die Zigaretten an der Wand aus, und so war die Wand hinter meinem Bett voller schwarzer Flecken. Meine Wirtin war blaß und mager, und wenn im Dämmer ihr Gesicht über meinem Bett stehen blieb, hatte ich Angst vor ihr. Zuerst dachte ich, sie sei verrückt, denn ihre Augen waren sehr hell und groß, und immer wieder fragte sie mich nach ihrem Sohn. „Sind Sie sicher, daß Sie ihn nicht gekannt haben ? Der Ort hieß Kalinowka – sind Sie dort nicht gewesen ?“
Aber ich hatte nie von einem Ort gehört, der Kalinowka hieß, und jedesmal drehte ich mich zur Wand und sagte : „Nein, wirklich nicht, ich kann mich nicht entsinnen.“
Meine Wirtin war nicht verrückt, sie war eine sehr ordentliche Frau, und es tat mir weh, wenn sie mich fragte. Sie fragte mich sehr oft, jeden Tag ein paarmal, und wenn ich zu ihr in die Küche ging, mußte ich das Bild ihres Sohnes betrachten, ein Buntphoto, das über dem Sofa hing. Er war ein lachender blonder Junge gewesen, und auf dem Buntphoto trug er eine Infanterie-Ausgehuniform.
„Es ist in der Garnison gemacht worden“, sagte meine Wirtin, „bevor sie ausrückten.“
Es war ein Brustbild : er trug den Stahlhelm, und hinter ihm war deutlich die Attrappe einer Schloßruine zu sehen, die von künstlichen Reben umrankt war.
„Er war Schaffner“, sagte meine Wirtin, „bei der Straßenbahn. Ein fleißiger Junge.“ Und dann nahm sie jedesmal den Karton voll Photographien, der auf ihrem Nähtisch zwischen Flicklappen und Garnknäueln stand. Und ich mußte sehr viele Bilder ihres Sohnes in die Hand nehmen. Gruppenaufnahmen aus der Schule, wo jedesmal vorne einer mit einer Schiefertafel zwischen den Knien in der Mitte saß, und auf der Schiefertafel stand eine VI, eine VII, zuletzt eine VIII. Gesondert, von einem roten Gummiband zusammengehalten, lagen die Kommunionbilder : ein lächelndes Kind in einem frackartigen schwarzen Anzug, mit einer Riesenkerze in der Hand, so stand er vor einem Transparent, das mit einem goldenen Kelch bemalt war. Dann kamen Bilder, die ihn als Schlosserlehrling vor einer Drehbank zeigten, das Gesicht rußig, die Hände um eine Feile geklammert.