Natural speed please.
Der jahrtausendealten iberischen Tradition folgend, Neugeborenen lange Namen zu geben, wurde ich mit zwei Vornamen, “Rui Mário”, und zwei Nachnamen, “Lemos” von der Seite meiner Mutter und “Ormonde” von der Seite meines Vaters, geboren. Es würde an dieser Stelle nicht reichen anzumerken, dass “Rui Mário” eine äußerst seltene und der wesentlich verbreiteteren Kombination, “Mário Rui” genau entgegengestellte ist, weswegen ich damit fortfahre zu betonen, wie unglücklich die Auswahl meiner Eltern war. Wir schreiben das Jahr 1991: Unzählbare Mengen öffentlicher Gelder wurden in Portugal ausgeschüttet, die Nation reitet auf einer Welle der Euphorie und der Hoffnung und Mário Soares, Sozialist, gewinnt die Wahlen auf das Amt des Präsidenten der Republik. Meine getäuschten Eltern ahnen gute Zeichen, was darin endet, dass sie mich im Andenken an den angenommenen Retter des Vaterlandes “Mário” nennen. Und so schreitet der schicksalhafte Entschluss fort zum Büro des Standesamtes von Angra do Heroísmo, wo mein Name für die Ewigkeit festzementiert wird .
Und so sieht man später, wie viel unglücklicher die Entscheidung war und zwar , als mir meine Eltern im sechzehnten Lebensjahr enthüllen, dass ihre erste Absicht “Rui Henrique” gewesen war! Von hier an verfiel ich in ein Stadium anhaltender Grübelei über ihn , der ich hätte sein können: “Henrique” - also Heinrich - erstens zu Ehren meines Vaters Joaquim Henrique (Joachim Heinrich - wenn das mal kein Name ist!), und in Andenken an Heinrich von Burgund, letzter Herzog der Grafschaft Portucalense, also der Einheit, die dem Königreich Portugal, von dessen Sohn Alfons Heinrich gegründet in den vergangenen Jahren des 12. Jahrhunderts , und zwar in vehementem Widerstand gegen die Annexionsbestrebungen der Krone von Leon und Kastilien (die Jahrhunderte später das moderne Königreich Spanien regieren würde), seinen Namen geben würde. Oder genauso an den Prinzen Heinrich, wegen seines Impulses zu den portugiesischen Entdeckungen Anfang des 15. Jahrhunderts bekannt als “der Seefahrer”; diese Entdeckungen sollten enden, unter anderen Taten, in der Wiederentdeckung der ersten Inseln der Gruppe der Azoren 1427 (man sagt, dass die handelnden Seefahrer Genuas sie bereits um 1320-30 erblickt hatten) und später, gegen Ende desselben Jahrhunderts, in der europäischen Entdeckung des Seewegs nach Indien.
Wie viel mehr schwölle ich vor Stolz an, wenn ich leidenschaftlich sagen könnte, aus diesen Gründen “Rui Henrique” zu sein. Ein iberischer Name. Und ein heidnischer: Denn “Rui” kommt vom im Mittelalter gebrauchten Diminutiv für “Rodrigo”, der seinerseits vom altgermanischen Namen “Roderich” kommt, der von den westgotischen und schwäbischen Stämmen während ihrer Migration ins bereits geschwächte Weströmische Reich gebracht wurde und sich aus den Elementen “hroth” (“ruhmreich”) und “rihhi” (“reich”, “mächtig”), also wortwörtlich “[er der] reich an Ehre [ist]”, besteht. Letzten Endes wurde “Rui” zu einem eigenen Namen von eigenem Wert und ließ seine Konnotation des Diminutivs hinter sich. Über das Französische ins Portugiesische gekommen, stammt Henrique, ein weiterer klingender Name, ursprünglich aus der germanischen Verbindung “Heim” und “rich” (“Vorgesetzter”, “Herr”). Weder Ruhm noch Macht noch ein Heim, über das ich Herr wäre, habe ich, aber beachten Sie die Alliteration zwischen den uvularen und frikativen Lauten der [ʁ] des “Rui Henrique”, die ich jedes Mal ergötzlich ausdrücken könnt’, da man mich nach meinem Namen frügt’. Und im amüsanten Zufall, dass ich nun auf Deutsch schreibe und spreche, wo doch mein Vorname selbst doppelt deutsch im Ursprung wäre!
Schlimmer noch: Ich bin weder Sozialist noch irgendetwas Ähnliches. Und ich empfinde mehr Bewunderung für die Vergangenheit Portugals als jemals Sympathie für Mário Soares.
Halte mich jedoch nicht, werter Leser, für wütend oder frustriert. Dass ich meine Eltern verurteilte oder ihnen Blasphemien vorwürfe, welch‘ undankbare Kundgebung ihrer Nachkommenschaft böte ich dar! (Außerdem kommt Mário, glücklicherweise, vom römischen “Marius”, der entweder von Mars, dem Kriegsgott, oder von “mare”, Meer, geprägt wurde. Und er erinnert immer an Mario™, Kindheitsheld vieler, wenngleich nicht meiner, denn ich habe immer Sonic™ bevorzugt). Davon abgesehen, mag ich meinen Namen sogar: Weil er mich diese Geschichte erzählen lässt, die ansonsten langweilend wäre, zumindest für mich.
When listening to my recording, do not stumble over my mispronunciations of "verbreiteten" (missed one "te" without noticing it) and "enthüllen" (changed it to "enthüllten" - past tense - by accident). I also apologize for butchering the foreign names. ;)