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lenora
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Vom Zauber der Zunge

Was erlebt ein Fremder beim Erlernen einer neuen Sprache?

Die Sprache ist eine wundersame Frau. Sie wohnt in einem Haus. Das Haus der Sprache kann alt und verfallen, ein Neubau der Sachlichkeit oder verspielt in Farbe und Form sein. Doch das Wundersame ist, so klein auch das Haus sein mag, es kann die ganze Menschheit aufnehmen. Jeder, der Frau Sprache kennelernen will, muss in das Haus hinein. Frau Sprache ist sehr eigenwillig, sie lässt die Kinder zu sich, bevor sie noch krabbeln können, doch nähert sich ein erwachsener Fremder ihrem Domizil, verschließt sie die Haustür mit sieben Siegeln. Hier resignieren viele, doch wer hineingeht, der wird reichlich belohnt. Er muss genug Geduld und List haben, bis sich die Siegel der Haustür aufbrechen lassen. Geht er hinein, so lernt er die Menschen, die darin wohnen, und ihre Kulturen kennen. Er lernt aber auch, die Dinge neu zu benennen und vor allem neue, ihm bis dahin fremde Klänge zu hören und danach auszusprechen, denn nur über das Ohr wird die Zunge klug. Er geht durch enge, manchmal dunkle Gänge. Oft stolpert er.

Im Haus der deutschen Sprache etwa hängt ein Schild mit der Aufschrift »Vorsilbengang« über einem Korridor: kommen, bekommen, verkommen, einkommen, auskommen, hin-, her-, an-, ab-, auf-, unterkommen. Viele dieser Gänge muss er bestehen. Für einen Araber beispielsweise ist der unangenehmste Gang der der Artikel: »der, die und das«. Im Arabischen gibt es nur »Al« als Artikel, und wir kennen kein Neutrum. Nicht selten muss der Fremde im neuen Haus der Sprache Dinge maskulin verstehen, die er von Kind auf im Haus seiner Muttersprache als feminin gelernt und verstanden hat: Baum, Segen, und Fuß sind im Arabischen weiblich. Und für einen Araber wird es nie verständlich sein, warum er eine Junge Frau das Mädchen nennen soll. Vom Gang der Wortverschmelzung brauche ich Ihnen nicht zu berichten. Für das Wort »Aufenthaltserlaubnis« braucht ein Araber einen Satz. Um seinen Eltern in einem Brief von seiner Freundin, der Tochter des Oberweserdampfschifffahrtsgesellschaftsvorsitzenden, zu berichten, braucht er mehrere Zeilen.

Nicht minder übel ist der Korridor »P und B in einem Wort«. Das Arabische kennt kein P, und »Pablo probiert einen knusprig gebackenen Pumpernickel« gleicht einer Folter. Aber auch wenn sich Ü und U in einem Wort treffen, brechen sie einem Araber die Zunge. Die arabische Sprache kennt kein Ü. Zuruck ist falsch, genau so wie züruck und zürück.

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  • Vom Zauber der Zunge (Teil 1) ( recorded by tiventi ), Hochdeutsch (no accent)

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    Vom Zauber der Zunge

    Was erlebt ein Fremder beim Erlernen einer neuen Sprache?

    Die Sprache ist eine wundersame Frau. Sie wohnt in einem Haus. Das Haus der Sprache kann alt und verfallen, ein Neubau der Sachlichkeit oder verspielt in Farbe und Form sein. Doch das Wundersame ist, so klein auch das Haus sein mag, es kann die ganze Menschheit aufnehmen. Jeder, der Frau Sprache kennelernen will, muss in das Haus hinein. Frau Sprache ist sehr eigenwillig, sie lässt die Kinder zu sich, bevor sie noch krabbeln können, doch nähert sich ein erwachsener Fremder ihrem Domizil, verschließt sie die Haustür mit sieben Siegeln. Hier resignieren viele, doch wer hineingeht, der wird reichlich belohnt. Er muss genug Geduld und List haben, bis sich die Siegel der Haustür aufbrechen lassen. Geht er hinein, so lernt er die Menschen, die darin wohnen, und ihre Kulturen kennen. Er lernt aber auch, die Dinge neu zu benennen und vor allem neue, ihm bis dahin fremde Klänge zu hören und danach auszusprechen, denn nur über das Ohr wird die Zunge klug. Er geht durch enge, manchmal dunkle Gänge. Oft stolpert er.

    Im Haus der deutschen Sprache etwa hängt ein Schild mit der Aufschrift »Vorsilbengang« über einem Korridor: kommen, bekommen, verkommen, einkommen, auskommen, hin-, her-, an-, ab-, auf-, unterkommen. Viele dieser Gänge muss er bestehen. Für einen Araber beispielsweise ist der unangenehmste Gang der der Artikel: »der, die und das«. Im Arabischen gibt es nur »Al« als Artikel, und wir kennen kein Neutrum. Nicht selten muss der Fremde im neuen Haus der Sprache Dinge maskulin verstehen, die er von Kind auf im Haus seiner Muttersprache als feminin gelernt und verstanden hat: Baum, Segen, und Fuß sind im Arabischen weiblich. Und für einen Araber wird es nie verständlich sein, warum er eine junge Frau das Mädchen nennen soll. Vom Gang der Wortverschmelzung brauche ich Ihnen nicht zu berichten. Für das Wort »Aufenthaltserlaubnis« braucht ein Araber einen Satz. Um seinen Eltern in einem Brief von seiner Freundin, der Tochter des Oberweserdampfschifffahrtsgesellschaftsvorsitzenden, zu berichten, braucht er mehrere Zeilen.

    Nicht minder übel ist der Korridor »P und B in einem Wort«. Das Arabische kennt kein P, und »Pablo probiert einen knusprig gebackenen Pumpernickel« gleicht einer Folter. Aber auch wenn sich Ü und U in einem Wort treffen, brechen sie einem Araber die Zunge. Die arabische Sprache kennt kein Ü. Zuruck ist falsch, genau so wie züruck und zürück.

Comments

lenora
March 9, 2014

Danke schön!

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