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HumboldtAlexander
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tagesschau.de sprach mit dem Migrations-Experten Professor Klaus J. Bade von der Universität Osnabrück.
tagesschau.de: Halten Sie Ausschreitungen wie in Frankreich auch hierzulande für möglich?
Klaus A. Bade: Es gibt keinen Anlass, sich zurückzulehnen und zu sagen: Das kann in Deutschland nicht passieren. Wir haben auch Problembezirke, die aber nicht eine ethnisch geschlossene Identität wie in Frankreich haben. Unsere Zuwanderer-Distrikte sind multiethnisch. Es gibt starke Bildungs-Defizite bei Zuwanderern und ihren Nachkommen, die Arbeitslosenrate ist sehr hoch - und wir haben ein wachsendes jugendliches Protestpotenzial von Leuten, die anzugreifen beginnen, weil sie keine Chancen mehr sehen. Die Spitzengruppe sind die Spätaussiedler, also Menschen deutscher Herkunft, die aus Russland zugewandert sind. Jeder vierte jugendliche Gewalttäter, der schon mehr als zehnmal bei den Behörden aufgefallen ist, ist ein Spätaussiedler. Das ist ein alarmierendes Signal.
tagesschau.de: Befürchten Sie, dass diese Gruppen aufeinander losgehen oder ist vielmehr mit einer Art Solidarisierung der Benachteiligten zu rechnen?
Bade: Die Konflikte zwischen den Gruppen sind schon da, vor allem zwischen den so genannten Russen und den so genannten Türken. Diese Gruppen stellen sich in einer Art Opfer-Konkurrenz gegeneinander auf. Eine Solidarisierung über ethnische Gruppen hinweg müsste ja auch Glaubensgrenzen überwinden. Damit ist nicht zu rechnen. Wir müssen uns jetzt an die eigene Nase fassen, denn wir haben in der Einwanderungspolitik ein Stück weit versagt.
tagesschau.de: Was wurde versäumt?
Bade: (...) Anfang der neunziger Jahre haben wir gewarnt, dass die Zuwanderung der Aussiedler aus dem Ruder läuft. Wir haben vorgeschlagen, die Aussiedlerzahlen durch langfristige Zusagen zu drosseln und die Eingliederungshilfen hoch zu halten. Das Gegenteil ist geschehen. Man hat die Zuwanderung leicht heruntergefahren, aber die Hilfe stark gekürzt. Die Deutschkurse zum Beispiel wurden auf sechs Monate reduziert - für Leute, die im Deutschen mitunter nur stammeln konnten. Jetzt bekommen wir die Rechnung präsentiert, und keiner will es gewesen sein.
tagesschau.de: Was muss geschehen, um ein Aufflackern der Gewalt zu verhindern?
Bade: Wir müssen mit dem Schönreden aufhören. Die Koalitionsrunde täte gut daran, das einzubeziehen. Wir brauchen zum einen eine präventive Integrationspolitik. Zuwanderer, die - wie die Spätaussiedler und russischen Juden - in einem geregelten Verfahren nach Deutschland kommen, warten in der Regel zwei bis drei Jahre auf ihren Bescheid. In dieser Zeit können sie sich besser auf die Integration vorbereiten - mit deutscher Hilfe. Man kann mit Fernkursen die Sprache fördern und mit Umschulungskursen die Zuwanderer darauf vorbereiten, in Deutschland einen Berufsabschluss nachzuholen oder anzugleichen. (...)
tagesschau.de: Viele Zuwanderer sind viele Jahre in Deutschland, aber noch lange nicht angekommen. Sind sie, was die Integration anbelangt, verloren?
Bade: Integrationspolitik kann und sollte auch nachholend sein. Das bedeutet, Menschen, die hilflos geblieben sind und nicht weiterkommen, zu fördern. Das fängt wieder bei der Sprache an, das betrifft auch soziale und kulturelle Techniken - das Rechtsverständnis, Hilfe bei der wirtschaftlichen Eingliederung, womit ich keine Arbeitsplatzgarantie meine, sondern zum Beispiel Hilfen bei Bewerbungen oder Ausbildungsplätze für Jugendliche. Ich unterscheide also präventive, begleitende und nachholende Integrationspolitik.(...)
tagesschau.de: Sie betonen stark das Fördern. Muss man aber nicht auch mehr Integrationswillen fordern?
Bade: Selbstverständlich. Integration ist ein Prozess auf Gegenseitigkeit, bei der die Bringschuld auf Seiten der Zuwanderer natürlich bei weitem höher als diejenige der Aufnahmegesellschaft. Diese Aufnahmegesellschaft hat aber die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Ziele der Integration vernünftig und verständlich zu formulieren. Zuwanderer wollen eine Orientierungshilfe haben und da müssen die Deutschen zu einer für Einwanderer verständlichen Selbstbeschreibung kommen. Und wir müssen begreifen, dass Integration auch die Mehrheitsgesellschaft verändert.

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    tagesschau.de sprach mit dem Migrations-Experten Professor Klaus J. Bade von der Universität Osnabrück.
    tagesschau.de: Halten Sie Ausschreitungen wie in Frankreich auch hierzulande für möglich?
    Klaus J. Bade: Es gibt keinen Anlass, sich zurückzulehnen und zu sagen: Das kann in Deutschland nicht passieren. Wir haben auch Problembezirke, die aber nicht eine ethnisch geschlossene Identität wie in Frankreich haben. Unsere Zuwanderer-Distrikte sind multiethnisch. Es gibt starke Bildungs-Defizite bei Zuwanderern und ihren Nachkommen, die Arbeitslosenrate ist sehr hoch - und wir haben ein wachsendes jugendliches Protestpotenzial von Leuten, die anzugreifen beginnen, weil sie keine Chancen mehr sehen. Die Spitzengruppe sind die Spätaussiedler, also Menschen deutscher Herkunft, die aus Russland zugewandert sind. Jeder vierte jugendliche Gewalttäter, der schon mehr als zehnmal bei den Behörden aufgefallen ist, ist ein Spätaussiedler. Das ist ein alarmierendes Signal.
    tagesschau.de: Befürchten Sie, dass diese Gruppen aufeinander losgehen oder ist vielmehr mit einer Art Solidarisierung der Benachteiligten zu rechnen?
    Bade: Die Konflikte zwischen den Gruppen sind schon da, vor allem zwischen den so genannten Russen und den so genannten Türken. Diese Gruppen stellen sich in einer Art Opfer-Konkurrenz gegeneinander auf. Eine Solidarisierung über ethnische Gruppen hinweg müsste ja auch Glaubensgrenzen überwinden. Damit ist nicht zu rechnen. Wir müssen uns jetzt an die eigene Nase fassen, denn wir haben in der Einwanderungspolitik ein Stück weit versagt.
    tagesschau.de: Was wurde versäumt?
    Bade: (...) Anfang der neunziger Jahre haben wir gewarnt, dass die Zuwanderung der Aussiedler aus dem Ruder läuft. Wir haben vorgeschlagen, die Aussiedlerzahlen durch langfristige Zusagen zu drosseln und die Eingliederungshilfen hoch zu halten. Das Gegenteil ist geschehen. Man hat die Zuwanderung leicht heruntergefahren, aber die Hilfe stark gekürzt. Die Deutschkurse zum Beispiel wurden auf sechs Monate reduziert - für Leute, die im Deutschen mitunter nur stammeln konnten. Jetzt bekommen wir die Rechnung präsentiert, und keiner will es gewesen sein.
    tagesschau.de: Was muss geschehen, um ein Aufflackern der Gewalt zu verhindern?
    Bade: Wir müssen mit dem Schönreden aufhören. Die Koalitionsrunde täte gut daran, das einzubeziehen. Wir brauchen zum einen eine präventive Integrationspolitik. Zuwanderer, die - wie die Spätaussiedler und russischen Juden - in einem geregelten Verfahren nach Deutschland kommen, warten in der Regel zwei bis drei Jahre auf ihren Bescheid. In dieser Zeit können sie sich besser auf die Integration vorbereiten - mit deutscher Hilfe. Man kann mit Fernkursen die Sprache fördern und mit Umschulungskursen die Zuwanderer darauf vorbereiten, in Deutschland einen Berufsabschluss nachzuholen oder anzugleichen. (...)
    tagesschau.de: Viele Zuwanderer sind viele Jahre in Deutschland, aber noch lange nicht angekommen. Sind sie, was die Integration anbelangt, verloren?
    Bade: Integrationspolitik kann und sollte auch nachholend sein. Das bedeutet, Menschen, die hilflos geblieben sind und nicht weiterkommen, zu fördern. Das fängt wieder bei der Sprache an, das betrifft auch soziale und kulturelle Techniken - das Rechtsverständnis, Hilfe bei der wirtschaftlichen Eingliederung, womit ich keine Arbeitsplatzgarantie meine, sondern zum Beispiel Hilfen bei Bewerbungen oder Ausbildungsplätze für Jugendliche. Ich unterscheide also präventive, begleitende und nachholende Integrationspolitik.(...)
    tagesschau.de: Sie betonen stark das Fördern. Muss man aber nicht auch mehr Integrationswillen fordern?
    Bade: Selbstverständlich. Integration ist ein Prozess auf Gegenseitigkeit, bei der die Bringschuld auf Seiten der Zuwanderer natürlich bei weitem höher ist als diejenige der Aufnahmegesellschaft. Diese Aufnahmegesellschaft hat aber die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Ziele der Integration vernünftig und verständlich zu formulieren. Zuwanderer wollen eine Orientierungshilfe haben und da müssen die Deutschen zu einer für Einwanderer verständlichen Selbstbeschreibung kommen. Und wir müssen begreifen, dass Integration auch die Mehrheitsgesellschaft verändert.

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